Auf einem Pass in 5100 Metern Höhe

Mona Rieg, Pastorin im Klinikum Itzehoe

Wie ich mit einer bunt gemischten Reisegruppe in Tibet, die Nähe zu Gott erfahren habe.

Kompliziert ist es, nach Tibet hinein zu kommen – und wundervoll ist es, dort zu sein. Ich war mit einer Gruppe unterwegs. Wir besuchen Heilige Berge, Stätten und Seen. Alles ist den Tibetern heilig, vor allem alles Lebendige. Das gemurmelte „Om mani peme hung“ – die Bitte um Befreiung alles Lebendigen aus dem Kreislauf der Wiedergeburt ist wie ein Grundton, der dieses Land durchzieht.

Die Reisegruppe war ein guter Bevölkerungs-Durchschnitt. Viele Gespräche ergaben sich im Laufe der Zeit, auch manche Diskussion. Meist ging es um Land, Leute oder Politik. Wenig um Persönliches. So wusste auch kaum einer in der Gruppe den Beruf des anderen. Bis ein Ehepaar (er evangelisch, sie katholisch) sich darüber unterhielt, wie viele Menschen in Tibet ihre Religion leben. Hunderte, Tausende, eigentlich alle, die man sehen konnte. Und dann kam an mich die Frage: „Gehen Sie manchmal sonntags in die Kirche?“ – „Hmhm“, antwortete ich. Nach einem Augenblick: „Öfter?“ – „Ja.“ – „Also richtig oft?“ – „Ja.“ – Pause. Dann: „Aber sie sind doch noch jung – warum gehen Sie oft in die Kirche?“ – „Ich bin Pfarrerin.“

In der Gruppe gab es einfachere und belesenere Menschen, fromme und solche, die Kirche spöttisch-mitleidig belächelten. Da waren die, die von Kirche enttäuscht waren (oder vom Glauben) und die mit guten Erfahrungen. Vieles erfuhr ich über die Menschen, weil sie es mir erzählten. Eine Frau trauerte sehr, weil der Vater gestorben war, ein Mann haderte mit seiner Verrentung, ein junger Mann lebte seit zwei Wochen getrennt, jemand machte sich Sorgen um den erwachsenen Sohn, einige erzählten vom schlechten Gewissen, zu selten in den Gottesdienst zu kommen oder zu beten, einer kämpfte um seinen Glauben, den er früher hatte.

Und dann waren wir auf einem Pass in 5100 Metern Höhe. Ein unglaublicher Anblick der Gletscher des Himalaya, die Luft zu dünn, um sich normal zu bewegen, ein Blau des Himmels, das nicht zu beschreiben ist. Und einer aus Nordrhein-Westfalen fragte mich: „Und, Frau Pastor – waren Sie Gott jemals so nahe?“ Und ich dachte: Ja, zum Beispiel in all den Gesprächen mit euch. Denn Gott war auch da.

Mona Rieg, Pastorin im Klinikum Itzehoe

Veröffentlicht am Fr 19.05.2023