Nicht ohne uns

Pastorin Ingrid Fabian

Es ist noch nicht vorbei mit dem weihnachtlichen Glanz. So möchte ich hier ein paar Perlen aufreihen, die mir in diesem Jahr entgegen rollten.

Heilig Abend, Andacht in der kleinen Kirche im Krankenhaus: Die stets Wenigen haben sich eingefunden, möchten Musik hören und singen. Nach einigen Liedern sagt ein Besucher: "Darf ich mal eine Frage stellen?" Er darf, selbstverständlich. "Ich bin nicht in der Kirche, aber ich komme trotzdem hierher, und ich finde auch, dass die Kirche viel Gutes tut. – Warum macht Gott seit tausend Jahren keinen Frieden?" Oh, denke ich, ein weites Feld. Dann blicke ich zur Krippe auf dem Altartisch und antworte dem Herrn: "Schaun Sie mal, da will Gott sein, in dem Stall, am Rande, mitten in unserem Leben. Auch Frieden macht er nicht ohne uns. Darum ist es so leicht und so schwer Frieden zu halten, weil der Höchste uns in der Seele frei erschaffen hat."

Es folgen Gedanken darüber, wie schrecklich Krieg ist und ungerecht, denn die Unschuldigen werden alle mitgerissen. "Aber warum ist Gott denn allmächtig?" Auch dies ist eine nicht knapp zu beantwortende Frage. Ich zeige noch einmal auf die Krippe. "So will Gott allmächtig sein, durch das Kleine und Menschliche."

Heute kommen wir damit nicht zum Ende. Wir singen ein Lied. Etwas später gehe ich zur geschlossenen Station und besuche einen jungen Mann. Er möchte, dass ich ihm helfe seinen Beschluss loszuwerden. Er ist laut ärztlicher und richterlicher Einschätzung gefährdet und deshalb – zu seinem Schutz – in einer Klinik untergebracht. Ich erkläre ihm, dass er im Augenblick nichts dagegen tun kann – und ich auch nicht. Aber dass ihm ein Betreuer an die Seite gestellt wurde, damit das Vorgehen seine Richtigkeit hat. Meine Antworten stellen ihn nicht zufrieden, und es gefällt ihm nicht unfrei zu sein. Weil ich weiß, dass er aus einer muslimischen Familie kommt, wage ich ihm aufmunternd zu sagen "Gott ist groß. Er rettet." Mein Gegenüber lächelt. Er scheint zu vertrauen und Raum zu gewinnen.

Ich bitte die geneigten Lesenden um Toleranz für die vielen großen Worte. Frieden, Krieg, Seele, Allmacht, Freiheit. Am Ende des Jahres ist der Sack eben ziemlich voll. Und es geht mir nicht um die Begriffe, sondern um ihr Aufleuchten in den kleinen Begebenheiten. Möge weihnachtlicher Glanz uns noch lange vorausleuchten in ein ungewisses neues Jahr. Auch für den heutigen Abend, die Silvesternacht, bitte ich meinen Gott um ein friedliches, fröhliches Treiben auf unseren Straßen. Mögen Einsatzkräfte, Polizisten, Sanitäter, Feuerwehrleute behütet bleiben. Gott ist groß, barmherzig, gnädig und gerecht. Warum sollte dieser Gott nicht einen Weg für uns im neuen Jahr freimachen?

Weil Gott in tiefster Nacht erschienen, kann unsre Nacht nicht traurig sein. Schreckt dich der Menschen Widerstand, bleib ihnen dennoch zugewandt. (Ev. Gesangbuch 56, Vers 5)

Gesegneten Sonntag!

Ihre Pastorin Ingrid Fabian

Veröffentlicht am Sa 30.12.2023