Es gibt eine Vorstellung darüber, wie Kirche idealerweise funktioniert und die hält sich beständig. Die Ortskirchengemeinde steht dabei im Mittelpunkt wie die Sonne im Sonnensystem. Der Hauptplanet. Dann gibt es ein kleines Orbit aus Diensten und Werken, die ergänzen und unterstützen oder ihren eigenen kleinen Kosmos bilden. Und eine Verwaltung, um die Erfordernisse abzuwickeln, die eine Körperschaft des öffentlichen Rechts so abwirft. Dieses Gebilde Kirchenkreis kreist dann um die Gemeinden herum. Die Kirchengemeinde vor Ort ist dabei eine Art Full-Service-Institution, die als kleine, schlagkräftige Einheit alles anbietet, was die Menschenseele gerade hier an diesem Ort so braucht.
Falls es diese Struktur in der evangelisch-lutherischen Welt je gab, so funktioniert sie 2024 nicht. Einigen Kirchengemeinden geht finanziell die Luft aus und statt Full Service gibts Kooperation und Verschlankung. Viele Angebote werden nur von einem Bruchteil der Gemeindemitglieder genutzt. Das Jugend- und das Kirchenmusikkonzept unseres Kirchenkreises sehen schon seit 15 Jahren größere Zusammenschlüsse vor. Die historischen Kirchen instand zu halten ist mit jeder Baumaßnahme wieder ein Kraftakt. Eine Kita oder einen Friedhof professionell betreiben? Daran ist ehrenamtlich in vielen Orten kaum mehr zu denken. Und auch nicht, dass es die Pastorin so nebenbei macht. Schließlich soll die noch in der Kirche stehen, eine gute Predigt präsentieren und für die Menschen in allen Lebenslagen da sein.
Nun gibt es einen Zukunftsprozess der Nordkirche. Im Landeskirchenamt, den Bischofskanzleien und an vielen anderen Stellen hat sich die Auffassung ausgebreitet, dass es grundlegende Veränderungen braucht, um die Kirche am Leben zu halten und am besten noch fröhlich in die Zukunft zu führen. Dazu sollte man, so der Geist des neuen Eckpunktepapiers für den Zukunftsprozess, nicht an kleinen Schräubchen drehen, sondern das große Ganze anpacken. Der Entwurf stammt von der Projektgruppe "Christliche Gemeinde im Wandel gestalten" im Auftrag des Zukunftsprozesses der Nordkirche unter der Leitung von Bischöfin Kirsten Fehrs.
Ein Aspekt ist die Struktur und die Definition von "Gemeinde". Diese soll nach dem Willen der Arbeitsgruppe künftig überall dort sein, wo es Themen und Ideen gibt. Auch digital, auch auf Zeit, nicht zwingend an einem geographisch definierten Ort. Bisher hieß es zwar auch oft Ja zu Pop-Up-Church, Jugendkirche, YouTube-Pastor und Projektchor - Geld jedoch gab es kaum für so etwas "Zusätzliches". Das soll sich jetzt ändern. Unterschiedliche Formen von Gemeinde sollten gleichberechtigt nebeneinander her existieren und auch finanziell ausgestattet sein.
Die zweite Säule ist der Kirchenkreis, dem zwangsläufig mehr Befugnisse zukommen werden. Denn irgendjemand muss darüber entscheiden, was Gemeinde ist. Zum Beispiel in Elmshorn. St. Nikolai? Eine Kasualagentur? Die Stifskirche mit dem Präbendenstift? Der Projektchor von Isolde Kittel-Zerer? Der Tik-Tok-Kanal kirche.elmshorn? All dies ist unzweifelhaft evangelische Kirche, aber nicht alles ist Gemeinde im kichenrechtlichen Sinne: Gemeinde, die mit Geld ausgestattet wird. Da gibt es fünf. St. Nikolai, Emmaus, Bugenhagen, Zum Guten Hirten, Friedenskirchengemeinde. Dieses Modell gilt es nun zu überdenken, nicht nur in Elmshorn.
Das Eckpunktepapier besteht aus 27 Seiten und enthält noch weitaus mehr Gedanken und Ideen als diese zwei. Es ist auch bei uns im Kirchenkreis bereits diskutiert worden, zum Beispiel im Konvent der Pastor:innen und der Dienste und Werke. Und es wird weiter diskutiert werden und in einen wie auch immer gearteten Zukunftsprozess münden.