schwer verdaulich

Schwer verdaulich

Jens Haverland, Heike Riemann

Rund 58 Millionen Schweine, 3,5 Millionen Rinder und knapp 683 Millionen Geflügel wurden in Deutschland 2017 geschlachtet. Weit mehr als für den Pro-Kopf-Verbrauch von 88 Kilogramm benötigt wird. Der Rest wird exportiert: Hähnchenhälse und -flügel nach Afrika, Schweinerüssel und -schwänze nach China, Pfoten nach Frankreich. Die Exportquote bei der Produktion von Schweinefleisch liegt bei 49 Prozent.

Die Tiere werden überwiegend von osteuropäischen Werkvertragsbeschäftigten geschlachtet und zerlegt. Denn der deutsche industrielle Schlachthof lässt schlachten. Die Marktmacht der deutschen Fleischkonzerne fußt auf professionalisierten Abläufen, die überwiegend Werksvertragsfirmen mit eigenen Beschäftigten ausführen. Nur eine Minderheit (25-15 Prozent) der Schlachthofbelegschaft ist deutsch und dort angestellt.

In der Statistik über Schlachthofbeschäftigte tauchen diese Werkvertragsangestellten nicht auf. Während Herkunft und Tonnage beim Schlachtvieh penibel festgehalten wird, sind sie statistisch nicht zu finden. So weiß man nichts Genaues. Sie sind – nicht nur statistisch – unsichtbar und man kann den Eindruck gewinnen, so soll es auch sein.

Subunternehmen werben sie in Osteuropa als Arbeitskräfte an und locken mit der Möglichkeit im Rahmen der europäischen Freizügigkeit durch Arbeit ihre Familien zu versorgen. Fern der Familie leben sie meist unbeachtet auch in schleswig-holsteinischen Kleinstädten in überteuerten Unterkünften. Für Sozialkontakte fehlen Kraft und Möglichkeiten, sie bleiben isoliert. So sind sie Spielball von Subunternehmen, die unter Umständen nicht zimperlich sind, ihren Gewinn auch durch Ausbeutung und Abzocke zu steigern.

Es bleibt ein langer Weg

Seit gut 2 Jahren schauen ein Bündnis aus Kirchen und Gewerkschaften, sowie engagierte Bürger*innen in Schleswig-Holstein genauer hin. Es entstanden Runde Tische und ein Netzwerk der Engagierten über Schleswig-Holstein hinaus, Impulse und handfeste Vorschläge für ein Handeln der (überregionalen) Politik und der Aufsichtsbehörden.

Dennoch: Es bleibt ein weiter Weg, bis Menschenrechte auch in Schleswig-Holstein wirklich geschützt sind. Bis dahin hat der Verbraucher beim Griff zum Sonntagsbraten beim Discounter oder bei seiner regionalen Landschlachterei noch viel zu bedenken.

Autoren:

Heike Riemann, Kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt in der Nordkirche, Regionsleitung Hamburg

Jens Haverland, Ökumenische Arbeitsstelle im Kirchenkreis Rantzau-Münsterdorf, Elmshorn

Aus dem Materialheft zum Sonntag Judika 2020: Auf dem Weg – Gerechtigkeit und Welthandel, S. 15.

Mit freundlicher Genehmigung der Herausgeber zur Veröffentlichung freigegeben.

In unserem Kirchenkreis befindet sich in Kellinghusen ein industrieller Schlachthof, an dem überwiegend Rumänen als Werkvertragangestellte arbeiten. Ein Stützkreis ehrenamtlich aktiver Menschen hat sich für diese Menschen auf vielfältige Weise engagiert und wurde aufgrund dieses Engagements für den „Eine-Welt-Preis“ der Nordkirche  nominiert. Am 21.02.2020 wird er ab 19:00h in der Christianskirche in Hamburg-Ottensen verliehen.

 

Veröffentlicht am Di 18.02.2020