Ich bin so frei

Antje Eddelbüttel, Ev.-Luth- St. Nikolai-Kirchengemeinde Elmshorn

Gestern waren sie wieder unterwegs. Kleine Gruselgestalten. Sie klingeln an den Türen, versuchen möglichst furchterregend auszusehen und rufen mir ihr „Süßes oder Saures“ entgegen.

Ich bekomme damit die Gelegenheit, mich mit Süßigkeiten freizukaufen. Mich freizukaufen davon, Saures zu bekommen. Natürlich gebe ich gerne eine Tüte Weingummis oder einen Riegel Schokolade her, damit ich heute früh nicht klebrige Eierreste von meinen Fensterscheiben kratzen muss.

In derselben Nacht, der Nacht vor Allerheiligen, die wir auch Halloween nennen, war ein schmächtiger Mönch in den Straßen von Wittenberg unterwegs. Süßigkeiten hatte er dabei nicht im Sinn. Sein Ziel war das schwarze Brett der Universität. Und das war in Wittenberg die große Holztür der Schlosskirche. 

Dort angekommen zieht er viele Blätter aus seiner Kutte und befestigt sie sorgfältig an der Tür. Die vielen Blätter ergeben zusammen eine Liste mit 95 Thesen; es sind 95 Sätze gegen die Angst.

So jedenfalls erzählt man sich von dieser Nacht.

Martin Luther kannte die Angst ganz genau. Diese Angst, nicht gut genug zu sein, diese Angst, nicht liebenswert zu sein. Diese Angst hat ihm viele fürchterliche Nächte beschert. Auch er hat versucht, sich freizukaufen von der Angst. Süßigkeiten haben nicht gereicht. Nichts hat gereicht.

Und dann hat er doch ein Mittel gefunden gegen die Angst: Mutworte. Freiheitsworte. Zuversichtsworte. In der Bibel hat er die Worte gefunden, die er zum Leben braucht. Da hat er den Engeln endlich geglaubt, die uns immer wieder zuraunen „Fürchtet euch nicht“. Da ist er frei geworden von der Angst.

Gestern war sie wieder unterwegs. Die Freiheit. Die Freiheit von der Angst. Und sie schmeckt süß.

Antje Eddelbüttel, Ev.-Luth. St. Nikolai-Kirchengemeinde Elmshorn

Veröffentlicht am Mi. 29.10.2025