Dr. Thomas Bergemann, Propst des Kirchenkreises Rantzau-Münsterdorf
Lisa Scheide

Gedanken zum Monat: Was bin ich klein

Dr. Thomas Bergemann

„Was bin ich klein“ – das habe ich so oft gedacht während meines zurückliegenden Urlaubs. Immer dann, wenn ich mein Motorrad an den Straßenrand gestellt habe und mit dem Fernglas die Vögel beobachtete.

Diese Tiere faszinieren mich, und sie beeindrucken mich. Sie verbringen unglaubliche Strecken im Flug auf dem Weg zu ihrem Winterquartier. Bald werden wir sie wieder ziehen sehen, die Schwalben zum Beispiel. Sie fliegen bis nach Zentralafrika, tausende Kilometer.

Können Sie sich das vorstellen, diese kleinen Tiere mit ihren kleinen Flügeln? Oder der Mauersegler, die Uferschnepfe, die noch längere Strecken hinter sich bringen, ohne auch nur einmal zu landen? Die Störche, die die Aufwinde nutzen, um sich majestätisch in die Lüfte zu schrauben. Oder die Greifvögel, die mit unglaublich scharfen Augen aus großer Höhe sehen können.

Wenn ich so am Straßenrand stand und in die Lüfte schaute und die Vögel beobachtete, dachte ich „Was bin ich klein?“, und ich fühlte eine Faszination, die wir Menschen wohl nur empfinden können, weil wir zu Demut fähig sind.

So empfanden es die Menschen schon immer, wenn sie die Natur betrachtet haben. Denken wir an die Verse aus Psalm 8: „Wenn ich sehe die Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast: Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?“ Gott wird hier mit „du“ angesprochen, aber dieses „Du“ meint eben keine respektlose Anbiederung, keine Augenhöhe oder eine Distanzüberschreitung.

In diesen Worten wird für mich sehr deutlich, wie Glaube funktioniert. Für mich ist es die Distanz, die etwas mit Respekt und Achtung zu tun hat. Gott ist Gott und kein Mensch – auch wenn wir ihn uns noch so menschlich vorstellen mögen. Betrachten wir seine Schöpfung, mag uns diese Distanz immer wieder vor Augen stehen, und wir erkennen, wo unser Platz darin liegen mag. Ganz sicher nicht als ihre Krone.

Denn wir sind doch, vielleicht gerade in diesen Tagen und Wochen der Krise, auf Gnade und Barmherzigkeit angewiesen. Auf ein Miteinander, das geprägt ist von Respekt und gegenseitiger Achtung und dem Glauben daran, dass jede und jeder doch etwas Gutes im Sinn haben mag. Verlieren wir diesen Glauben an das Gute beim anderen und an den Sinn eines gelingenden Miteinanders, könnte es sein, dass wir die Mitte, den Ort unseres Wohlseins verlieren. Wir sollten wissen, wo unser Platz ist, wohin wir gehören, wer unsere Nächsten sind, auf die wir angewiesen sind. Denn das ist wohl unsere Aufgabe als Menschen, und es ist unsere Ordnung, die der Nächstenliebe und Selbstachtung, die uns zu Christenmenschen macht.

Die Worte aus Psalm 8 haben übrigens auch die Männer der ersten Mondlandung für einen Abendgruß aus dem Weltraum genutzt. Ihnen kamen sie wohl in den Sinn, als sie die Erde in all ihrer Pracht aus dem Weltraum sahen. Müssen wir so weit reisen, um uns dieser Worte zu erinnern? Ich hoffe es nicht, manchmal reicht auch ein Vogelschwarm am Straßenrand.

 

Dr. Thomas Bergemann, Propst des Kirchenkreises Rantzau-Münsterdorf

Veröffentlicht am Mi 02.09.2020