Porträt Steffen Paar
Propst Steffen Paar im Interview

Propst: "Kirche ist kein betreutes Wohnen"

Natalie Lux

Steffen Paar ist seit 2023 Propst in der Propstei Nord mit Sitz in Itzehoe. In unserem Interview geht es um die Lage der Kirche im Jahr 2025 und wie wir für unsere Mitglieder da sein können.

Herr Paar, wie blicken Sie auf 2025? 

Zunächst einmal ist da Sorge. Ich nehme zunehmend Erschöpfung bei ehrenamtlichen, neben- und hauptamtlichen Mitarbeitenden und Pastor:innen war. Das hat unter anderem zu tun mit der Verdichtung und Veränderung von Arbeit und uns als Kirche und mit dem, was um uns herum passiert. 
Das ist erstmal keine gute Ausgangslage für das, was wir mit Blick auf schwindende Finanzen, Wiederentdeckung der Freude am Glauben und unseren Beitrag für das Gemeinwohl anpacken müssen. Und auch nicht für neue Ideen und inspirierendes Kirchesein.
Ehrlichkeit und Realismus ist eine gute Basis für Hoffnung. Und das wiederum trifft mein Christsein und meine Berufung im Kern. Wie Dinge enden, muss ich gar nicht wissen. Ich schaue auf den Anfang, also zum Beispiel, dass wir untereinander in einem guten Austausch sind, einander weder den Glauben noch Ängste absprechen und so manches loslassen und anderes weitermachen.
Und ich denke an Menschen wie meine Oma. Sie hätte am Ende des Weltkrieges allen Grund gehabt, zu verzweifeln. Und manchmal, so erzählte sie, war sie auch verzweifelt. Und noch mehr: Jeden Tag das tun, was ihr möglich war, nicht alleine überall durchmüssen und Gott alles im Gebet hinhalten. 

Was leiten Sie daraus für die Gemeinden in der Propstei Nord ab? 

Ich stelle mir und anderen zwei Fragen: Was brauchen die Menschen für ihren Glauben von uns als verfasste Kirche am jeweiligen Ort? Und: Leitet uns Angst oder Sehnsucht? Es wird nicht möglich sein, die eine richtige Struktur zu finden, egal wie lange wir diskutieren, denn dazu haben die Menschen zu viele verschiedene Erwartungen an uns. Zur Ehrlichkeit gehört auch, dass Kirche kein betreutes Wohnen, sondern mündiges Christ:innensein der Getauften vor Ort ist. Leerstellen, die dort entstehen, wo wir uns als Kirche zurückziehen, wecken vielleicht die Sehnsucht, dass Christ:innen selbst etwas gestalten. Gott geschieht ja auch an uns als Kirche vorbei. Und dort, wo keine Sehnsucht ist, frage ich mich schon, warum wir manche Dinge noch machen und uns selbst so frusten. Ich will die aktuelle Entwicklung von Kirche nicht schönreden. Ich suche nach den Aufgaben im Wandel und habe Lust, diese Challenge mit den anderen hier anzunehmen.

Also sollten wir schneller oder gründlicher ins Handeln kommen? 

Pfarrsprengel und Kooperationsverträge sind hilfreiche Übergänge. Doch ich überlege, ob wir da nicht sehr viel Energie hineinstecken und dabei vergessen, dass das alles ja keine Ziele sind, sondern der Weg weitergeht. Mein Ziel wäre, dass in den bisherigen Regionen viel schneller auf Fusionen zugehen. Es kristallisieren sich solche Räume und Teams heraus. Und in diesen größeren Gemeinden (in meiner Propstei würde ich maximal sieben davon sehen), die ja mit Blick auf andere Systeme alles andere als groß sind, arbeiten wir mit Schwerpunkten, fokussiert und mit größerer Klarheit als wir das jetzt tun. Und warum sollte eine solche Struktur den Glauben mehr hindern als bisher? Bzw. umgekehrt: Warum sollten wir so Christus weniger zum Leuchten bringen als im kleinteiligen Arbeiten? Von daher zügiger die Strukturen angehen und dann in diesen auf beides schauen: was geschieht vor Ort und was zentraler? Was permanent und was projekthaft?

 

Was müssen wir 2025 für unsere Mitglieder tun?

Drei Worte sind mir wichtig: Nähe, Beziehung und Qualität.

Nähe meint für mich das, was im Nahraum von Menschen geschieht: Gottesdienst, Aktion auf der Straße, Jugendarbeit, ein diakonisches Angebot. Nähe ist für mich nicht deckungsgleich mit Kirchengemeinde. Es geht um die Frage: Wo und wie kreuzen wir als Kirche den Weg der Menschen? In einem Dorf mag das der monatliche Gottesdienst sein, in einem Stadtteil ist es die mobile Kirche mit der Möglichkeit, Kerzen anzuzünden und im Krankenhaus ist es unsere Seelsorgerin.

Beziehung meint, dass gemeinschaftsstiftende Angebote einen wichtigen Ort brauchen. Wir stecken viel Energie in Gottesdienste, die manchmal schlecht nachgefragt werden. Gottesdienst schafft selbst keine oder nur kaum Beziehung unter Menschen. Vielleicht also den Gottesdienst sein lassen? Raum und Ort schaffen, wo Menschen sich treffen und Christus ja ebenso mittendrin ist?

Qualität meint den kritischen Blick auf Gottesdienste, Kasualien, Öffentlichkeitsarbeit, unsere Sprache und eben auch unsere Inhalte. Passt die Form zum Inhalt? Werben wir ausreichend und richtig? Wo sagen wir zuviel, wo zu wenig? Werden wir unserem Auftrag gerecht? Wenn der Glaube an Christus hinter frommen Phrasen oder Allerweltsreden verschwindet, fehlt mir etwa das Wichtigste.

Was ist unser Ort als Kirche im aktuellen Wahlkampf? 

Die Vorsitzende der AfD hat in ihrer Rede auf dem Parteitag und auf X für mich Erschreckendes unverhohlen geäußert. Das muss auch von uns als Kirche benannt werden. Doch noch mehr Energie möchte ich mit anderen meiner Kirche darauf verwenden, das Gute zu stärken: Für die Kandidierenden der demokratischen Parteien beten, Räume anbieten, wo Menschen Ängste und Sehnsüchte aussprechen können und gemeinsam überlegen, was das bedeutet. Das ist dann vielleicht weniger Sache großer Podien, sondern von uns als Christenmenschen und Kirche im Alltag. Eine nicht leichte Aufgabe ist es, darauf zu schauen, dass Menschen in Gesprächen verbal abrüsten und wahrhaftig und bei der Wahrheit bleiben. 

 

Veröffentlicht am Di. 14.01.2025