Erste Hilfe für die Seele

Die meisten Menschen haben von der Messerattacke in der Regionalbahn Brokstedt (Kirchenkreis Altholstein) durch die Nachrichten erfahren. Dort war auch die Rede von Rettungskräften im Einsatz. Sabine Tischendorf hat bei der Betreuung der Betroffenen unterstützt. Die Verwaltungsleiterin gehört zu einem Team von acht Notfallseelsorgenden aus dem Kirchenkreis Rantzau-Münsterdorf.

Tischendorf saß gerade in einem Meeting, als das Handy piepte. Es sei in großer Einsatz, hieß es da. „Wir brauchen alle, die können.“ „Bin unterwegs“ antwortete sie, meldete sich aus der Sitzung ab und stieg ins Auto, wo immer die Jacke mit der Aufschrift Notfallseelsorge bereit liegt. „Wir werden erst einmal nur benachrichtigt, dass es einen Einsatz gibt“, erzählt Tischendorf. Wer sich als fahrbereit zurückmeldet, erhält nähere Informationen zur Art des Einsatzes. Am Unglücksort angekommen meldet sie sich bei der Einsatzleitung, die immer derjenige aus dem Team innehat, der zuerst am Ort ist. Das war in diesem Fall Pastor Lothar Volkelt, der in Kellinghusen wohnt. Am Bahnhof Brokstedt erwartete die Einsatzkräfte ein Dickicht aus verzweifelten Menschen. Verletzt, schockiert, nach Angehörigen suchend oder fassungslos vor sich hin schauend. „Ich setze mich dann mitten ins Geschehen, versuche einzuordnen, wer akut versorgt werden muss, wo Gespräche zu führen sind“, beschreibt Sabine Tischendorf die Situation. Hier braucht es ein wachsames, geschultes Auge. „Und jede Person hat einen eigenen Blick auf die Lage, so ergänzen wir uns“, fügt die Seelsorgerin hinzu. 
   Es ist ein Kontakt zu Menschen in existenzieller Not, der direkt nach der medizinischen Versorgung beginnt – und es bleibt bei diesem einen Kontakt. Nach der Akutsituation sind dann andere zuständig. Das Krankenhaus, die Familie, Hilfesysteme. „Die Aufgabe ist“, so Tischendorf, „den Angehörigen und Betroffenen zu helfen, ins Leben zurückzukommen.“ Die Situationen, in die Notfallseelsorgende kommen, sind ganz unterschiedlich. Natürliche Todesfälle im Haus, Überbringung einer Todesnachricht mit der Polizei, Verkehrsunfälle, Suizid. Oftmals sind es Theologinnen und Theologen mit Zusatzausbildung, aber nicht nur. „In Brandenburg, wo ich vorher war, hat die Mehrzahl andere Berufe.“ 
Für den Kreis Steinburg koordiniert und verantwortet Pastorin Gabi Kliefoth die Notfallseelsorge. Der Kirchenkreis finanziert dafür eine halbe Stelle. Eine weitere Viertelstelle hat ihr Kollege Lother Volkelt inne. Die anderen aus dem Team sind ehrenamtlich im Einsatz. Kliefoth hält Kontakt zur Leitstelle der Feuerwehr und des Rettungsdienstes, betreut Rettungskräfte nach belastenden Einsätzen, bietet die verpflichtenden Fortbildungen für ihr Team an, sorgt dafür, dass immer jemand aus dem Kreis der Notfallseelsorger abrufbereit ist. Die Pastorin rückt auch selbst zu Notfällen aus. Eine Aufgabe, die ihr sehr wichtig ist. Und für die sie einen Preis zahlt: Gabi Kliefoth ist in ständiger Alarmbereitschaft. Spontan übers Wochenende wegfahren oder Alkohol trinken ist selten drin, auch an Feiertagen nicht. „Wenn ich im Dienst bin, bin ich auch in Bereitschaft“, sagt Kliefoth, die mit der anderen Hälfte ihrer Stelle Gemeindepastorin in Krummendiek-Mehlbek ist. Da klingelt das Handy auch mal nachts um drei Uhr oder am Wochenende. Die Einsätze können im gesamten Kreis Steinburg stattfinden. 
Die Einsätze im häuslichen Bereich übernehmen die Pastoren des Kirchenkreises jeweils für zwei Wochen im Jahr. Ein klassischer Einsatz im Haus dauert drei bis vier Stunden. „Wenn alle anderen weg sind, die Rettungskräfte, die Polizei, dann sind wir für die Menschen da“, beschreibt die Pastorin. Sie leisten Erste Hilfe für die Seele. „Trauer und Wut aushalten, für Angehörige da sein, nicht weggehen, wenn für andere Helfer der Einsatz beendet ist“, führt die Pastorin aus. Seit 23 Jahren ist Gabi Kliefoth nun dabei, neun Jahre ist sie noch im Dienst. „Auch wenn es anstrengend ist, ans Aufhören denke ich vor der Rente nicht.“ 

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Veröffentlicht am Mi 15.02.2023