Kirchenmusikerin Xiaojing Sheng sitzt mit dem Evangelischen Gesangbuch vor einem Tisch
Kirchenmusikerin Xiaojing aus Barmstedt im Interview über das 500 Jahre alte Evangeische Gesangbuch

Das Gesangbuch hatte 500. Geburtstag

Natalie Lux

Happy Birthday, liebes Gesangbuch! Seit 500 Jahren begleitet es evangelische Christinnen und Christen durch das Kirchenleben. Wir haben mit Barmstedts Kirchenmusikerin Xiaojing Sheng durchgeblättert und über eins der meistbetrachteten Bücher gesprochen.

"Gott ist mein Lied; er ist der Gott der Stärke, hehr ist sein Nam, und groß sind seine Werke und alle Himmel sein Gebiet." Schön, oder? Haben Sie diese Zeilen schon einmal gesungen? Wenn nicht, dann sind Sie in guter Gesellschaft. Das Lied Nummer 536 aus dem Evangelischen Gesangbuch (EG) ist in unseren Gemeinden wenig gebräuchlich, obwohl es sich um ein Nordelbisches Lied handelt. "Man könnte es gut und einfach mit der Gemeinde singen, denn es ist sehr wertvoll und gleichzeitig leicht zu singen", sagt Xiaojing Sheng. Sie ist Kirchenmusikerin in Barmstedt und hat gerade ein offenes Singen anlässlich des 500. Geburtstags veranstaltet. Bei der Nummer 536 EG jedoch, da hörte sie eher ein vages Gemurmel im Publikum. "Viele wollen nicht unbedingt neues Lernen, sondern freuen sich, wenn die beliebten Lieder dran sind", hat die Musikerin, die klassische Musik studiert hatte, festgestellt. "Lobe den Herrn" zum Beispiel, "Danke" oder auch "Geh aus, mein Herz". Und natürlich die bekannten Weihnachtslieder wie "Oh du Fröhliche", die an keinem Heiligabend fehlen dürfen. Bei Beerdigungen sehr beliebt: "So nimmt denn meine Hände." 

Möge die Straße meistgesungenes Lied
Umfragen zufolge wird nur ein Drittel des Liedguts aus dem EG überhaupt im Gottesdienst gesungen. "Früher hatten Familien für den Hausgebrauch ein Gesangbuch zu Hause, teilweise wertvoll eingeschlagen in Leder, gehegt und gepflegt", berichtet Kirchenmusikerin Sheng. Die Psalmen und Gebete waren Anleitung für die häusliche Gebetspraxis. Heute wird das Buch im Gottesdienst zum Singen oder zum Sprechen der Psalmen ausgeteilt, im Konfirmandenunterricht oder auch in Sitzungen kirchlicher Gremien. Im privaten Kreis zu Hause weniger. Und es gibt "konkurrierende" Gesangbücher wie zum Beispiel "Durch Hohes und Tiefes". Viele beliebte Lieder, wie "Möge die Straße", sind entweder gar nicht im EG zu finden, oder doch zumindest mit einer anderen Melodie, wie Dietrich Bonhoeffers gern gesungenes Lied "Von guten Mächten". 

Helene Fischer statt Gesangbuch
Hochzeitspaare und Taufgesellschaften wollen teilweise überhaupt keine kirchlichen Lieder mehr. "Da wünscht man sich schon mal Helene Fischer", sagt Xiaojing Sheng und grinst. Man werde sich aber meist einig. Auch mit dem Pastor, der die Lieder für seinen Gottesdienst aussucht. "Da schlage ich oft einfach Alternativen vor". Manche Lieder sind auch für Menschen, die wenig singen und selten zur Kirche gehen schlicht zu schwierig geworden, wie Luthers Tauflied "Christ, unsere Herr, zum Jordan kam". Zwar gebe es wunderbare Bearbeitungen zum Beispiel von Bach, doch die alte Sprache, die drastischen Bilder und die schwer zu singende Melodie machten das Lied sehr anspruchsvoll. Sheng: "Mit einer ungeübten Gemeinde klappt das nicht". Leichter funktioniert zum Beispiel: "Ins Wasser fällt ein Stein" (EG 620). 

2028 erscheint ein neues Evangelisches Gesangbuch 
Vier Jahre nach dem großen Jubiläum, 2028, gibt es eine Neuauflage des Evangelischen Gesangbuchs. Zwei Drittel neues Liedgut soll es enthalten. Was würde Xiaojing Sheng sich wünschen? "Auf jeden Fall eine gute Mischung aus modernem und klassischem Liedgut, gern aus verschiedenen Ländern. Schön wäre, wenn auch Chorsätze drin enthalten sind. " Und Ihr persönliches Lieblingslied verrät sie auch: "Wer nur den lieben Gott lässt walten" (EG 369). 

Veröffentlicht am Di 12.11.2024