Zum Buß- und Bettag

Pastor Jörg Heinrich

„Gerechtigkeit erhöht ein Volk; aber die Sünde ist der Leute Verderben.“ Die Bibel - Sprüche 14,34

Demonstrationszüge zogen durch die Städte, manche auch über Land. Die Teilnehmer hielten Peitschen in den Händen, mit denen sie symbolisch den Ursprung des Übels geißelten: Sich selbst peitschten die Teilnehmer der Geißlerzüge während der Pestepidemie, die ab 1348 in ganz Europa wütete. Denn wenn sie auch sonst nichts wussten über die krankheitserregenden Bakterien, die sich durch mangelnde Hygiene dramatisch ausbreiteten: Dass das nur eine Strafe Gottes sein konnte, das meinten sie zu wissen… Und so meinten sie, eben diese Strafe abwenden zu können, indem sie sich selbst bestraften.

Wie viel klüger wir modernen Menschen doch heute zu sein meinen! Wenn ich allerdings die „Aluhüte“ und andere sehe, die heute zur Ignoranz gegenüber einer grassierenden Virusepidemie und gleichzeitig sehr absurden vorwissenschaftlichen Vorkehrungen aufrufen, dann gerate ich ins Fragen, ob wir modernen Menschen wirklich klüger sind…

Der 1893 eingeführte Buß- und Bettag in der letzten Woche des Kirchenjahres gehört ja zu den von der Mehrheit vergessenen besonderen Tagen, und manch einer mag sich fragen, warum jetzt mitten in der Woche ein „Wort zum Sonntag“ erscheint. Bußtage hatten in früheren Zeiten besonders dann Konjunktur, wenn es Probleme gab: Die gesamte Bevölkerung wurde angesichts von Notständen und Gefahren zu Buße und Gebet aufgerufen.

Und wir? Das griechische Wort der Bibel, das meist mit „Buße tun“ übersetzt wird, heißt wörtlich: „Umdenken“, „den Sinn wandeln“. Das allerdings täte uns gut: Kann es denn wirklich immer so weitergehen mit unserem ungebremsten Raubbau an der Erde, an der Schöpfung? Mit der schreienden Ungerechtigkeit, wie Einkommen und Ressourcen verteilt werden?

Sünde ist ja nicht das Stück Kuchen mehr… Sünde ist das, was uns trennt wie der Sund die Insel vom Festland: Was uns trennt von den Anderen, von uns selbst, von Gott, vom Leben wie es gut wäre…

Was für eine Tradition, an die wir da einfach andocken können, wenn wir nur wollen: Umdenken, den Sinn wandeln – nicht um Strafe zuvorzukommen, sondern um den Sund zu überwinden, der uns vom Leben trennt…

Pastor Jörg Heinrich

Veröffentlicht am Fr 13.11.2020