Versöhnung und Frieden

Pastor Piepenburg, Ev.-Luth. Kirchengemeinde Barmstedt

Im Kleinen ist manchmal in besonderen Augenblicken erfahrbar, was im Großen verheißen ist.

Ein Mann geht ziellos durch die Straßen rund um den Bahnhof der Stadt, dort hat er in der Gepäckaufbewahrung die Weihnachtsgeschenke für seine Frau abgegeben und will sie später wieder abholen. Es ist Heiligabend, früher Nachmittag. Er will noch nicht nach Hause gehen, er braucht noch Zeit, er fürchtet sich davor, nach Hause zu kommen. Er fürchtet sich vor der Kälte und Leere, die ihn zuhause erwarten.

Seine Frau ist wie versteinert ihm gegenüber, sie spricht kein Wort mehr mit ihm. Sie ist so, weil sie von ihm schwer enttäuscht wurde. Er hatte sie belogen. Und nach dieser Lüge ist alles anders in ihrer Beziehung und in seinem Lebensgefühl. Wie sehr hatte er es genossen, mit seiner Frau zusammen zu sein, abends im Bett zu liegen, sie anzuschauen, wenn sie eingeschlafen war – wie friedlich das war. Es war für ihn die schönste Stunde des Tages. Es war für ihn Glück und Frieden.

Und nun nur noch Kälte, Stummheit und Leere. Er malte sich auf seinem Gang durch die Straßen mit Schrecken aus, dass das jahrelang so weiter gehen könnte, dass sie ihr weiteres Eheleben nur noch im pflichtgemäßer Routine dahinleben würden, beide verhärmt und verbittert, ohne Nähe, Zuwendung, ohne Freude aneinander, ohne Liebe.

Schließlich geht er dann doch nach Hause – ohne die Geschenke, die Gepäckaufbewahrung hatte inzwischen geschlossen. Er sieht von unten Licht im Schlafzimmer. Als er in die Wohnung kommt, ist das Licht verloschen. In der Küche findet er Weihnachtsgeschenke seiner Frau für ihn, und das Essen ist vorbereitet. Vorsichtig geht er an die leicht geöffnete Schlafzimmertür und fragt in den dunklen Raum hinein: „Schläfst du?“ Und er hört, er kann es kaum glauben, er hört ein Nein. Und dann erzählt er von seiner Dummheit mit den Geschenken und fragt, ob das schlimm sei. Wieder vernimmt er ein Nein. Er erzählt, welche Geschenke er für sie ausgesucht hat und fragt: „Freust du dich?“ Und darauf hört er deutlich ein Ja. Er legt sich ins Bett, er ist erleichtert. Er hat seine Stunde wieder.

Diese kurz nacherzählte Geschichte von Heinrich Böll (So ward Abend und Morgen) ist für mich eine anrührende und passende Geschichte für die Advents- und Weihnachtszeit. Obwohl sehr zurückgenommen erzählt wird und nichts Spektakuläres geschieht, ist sie doch für das transparent, was in der Adventszeit in den großen biblischen Verheißungstexten zu hören ist: Ein Licht scheint auf in der Finsternis, es erhellt die Dunkelheit; neue Hoffnung wird entfacht und lebt auf und kann Erstarrtheit und Verzweiflung überwinden. Im Kleinen ist manchmal in besonderen Augenblicken erfahrbar, was im Großen verheißen ist: Versöhnung und Frieden.

Pastor K.-D. Piepenburg, Ev.-Luth. Kirchengemeinde Barmstedt

Veröffentlicht am Sa 18.12.2021