Das Kreuz hängt schief

Anne Wöckener-Gerber, Pastorin der Dietrich-Bonhoeffer-Kirchengemeinde Itzehoe

Die menschliche Perspektive und das göttliche Handeln zu Ostern.

„Das Kreuz hängt schief!“, rief mir plötzlich einer der Konfirmanden aus der letzten Stuhlreihe im Kirchsaal zu. Mir schoss sofort der Sketch von Loriot „Das Bild hängt schief“ durch den Kopf, wo jemand ein schief hängendes Bild gerade richten will und dabei in kürzester Zeit ein Wohnzimmer komplett verwüstet.

Die Jugendlichen kennen Loriot jedoch nicht. Also verzichtete ich auf diesen Hinweis und erklärte ihm, dass sich das Kreuz, seit wir es für Malerarbeiten im Altarraum abnehmen mussten, nicht mehr ganz waagerecht aufhängen ließe. So einfach lassen sich Konfis nicht zufriedenstellen. Einer kam nach vorne und der, dem es aufgefallen war, gab von hinten Ausweisungen: „Links ein bisschen runter! Nee, das ist zu viel. Ja, stopp, so ist es okay!“. Kaum saß er, rief wieder jemand: „Das Kreuz hängt schief!“. In den wenigen Sekunden war es erneut leicht verrutscht. Das Kreuz bleibt schief.

Auf diese Weise stört es erstmal unser ästhetisches Empfinden. Ein Störfaktor ist es von seinem Wesen her sowieso. Als Schwerverbrecher – aus Sicht der römischen Besatzungsmacht – sollte Jesus von Nazareth an einem Kreuz qualvoll sterben. Das ist er.

Aus menschlicher Perspektive ist das schief. So lassen die Evangelisten Vorübergehende Jesus verhöhnen: „Wenn du Gottes Sohn bist, steig herab vom Kreuz!“. Selbst Jesus glaubte sich von Gott verlassen. Alle Erklärungsversuche, warum Jesus von Nazareth am Kreuz sterben musste, bleiben unbefriedigend, gar ärgerlich. Sie beschreiben einen Gott, der versöhnt werden will durch ein Opfer, oder in seiner Ohnmacht, in Leiden und Tod den Menschen ganz nah sein will.

Wenn wir Menschen auf diese Weise das Kreuz gerade richten wollen, ergeht es uns wie dem Besucher bei Loriot: Wir machen alles nur noch schlimmer. Das Kreuz bleibt schief. Nur Gott kann es gerade richten – Ostern.

Veröffentlicht am Do 14.04.2022