Haltung braucht Zeit

Pastorin Birgit Dušková, Kirchengemeinde Glückstadt und Flüchtlingsbeauftragte des Kirchenkreises

In unserer komplexen und von zahlreichen Problemen und Herausforderungen geprägten Welt werden wir immer öfter aufgefordert, Position zu beziehen und Haltung zu zeigen. Aber meint Haltung nicht etwas, das Menschen losgelöst von allen aktuellen Erfordernissen tief zu eigen ist und innerlich trägt?

Sie brachten zu Jesus eine Frau, die des Ehebruchs beschuldigt wurde, und verlangten von ihm ihre Steinigung, wie es das Gesetz vorsah. „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie,“ sagte Jesus zu ihnen und sie ließen von der Frau ab und gingen davon.

Dieser Satz und wie ganze Geschichte „Jesu und der Ehebrecherin“ ist sehr bekannt. Mich hat sie immer tief beeindruckt. Jesus gelingt es nicht nur das Leben dieser konkreten Frau zu retten, sondern eine ganze Tradition der Gewaltanwendung gegen Frauen in Frage zu stellen.

Wie schafft er das? Beim Lesen ist mir ein Detail aufgefallen, das ich oft übersehen habe, vermutlich weil ich bereits das Ende der Geschichte kenne. Wäre man tatsächlich live dabei, sehe das vermutlich anders aus. Denn das, was Jesus hier macht, ist im Grunde ziemlich befremdlich. Die Situation ist angespannt. Es geht um Leben und Tod. Alle Erwartungen sind auf ihn gerichtet und was macht er: Er schweigt, geht auf die Knie und malt mit den Fingern im Sand! Warum tut er das? Ist er erschöpft, ratlos, entscheidungsschwach oder gar feige?

Bei genauerer Betrachtung stelle ich fest, dass es viel Kraft kostet in so einem Moment das zu tun, was Jesus hier einfach tut: sich diese Zeit zu nehmen einen Moment innezuhalten, obwohl alle angespannt drängen. Leichter wäre es doch zu tun, was „man“ halt tun soll, beziehungsweise alle irgendwie von einem erwarten. In unserer komplexen und von zahlreichen Problemen und Herausforderungen geprägten Welt werden wir immer öfter aufgefordert, Position zu beziehen und Haltung zu zeigen.

In den sozialen Netzwerken geschieht dies mittlerweile in einer atemberaubenden Geschwindigkeit, täglich beinahe stündlich werden wir aufgefordert uns zu den verschiedensten Themen zu verhalten. Die Schnelligkeit hat dabei den Effekt eines Durchlauferhitzers: Alles kocht schnell hoch aber erkaltet auch genauso schnell wieder. Und ist dann halt auch auf einmal nicht mehr so wichtig….

Meint Haltung nicht etwas, das Menschen losgelöst von allen aktuellen Erfordernissen tief zu eigen ist und innerlich trägt? Und braucht es nicht ungemein viel Zeit bis solche Grundüberzeugungen in einem Menschen gewachsen sind? Und gehört es nicht auch dazu Fehler gemacht zu haben, vollkommen danebengelegen zu haben, sich das einzugestehen, es zu erinnern und gleichzeitig zu verzeihen? Und schließlich: wieviel Kraft und Mut verlangt es dann in einer realen Situation auch wirklich nach den eigenen Überzeugungen zu handeln und nicht einfach zu tun, was man meint, das andere es von einem erwarten? Sie verstehen sicherlich: Ich frage hier nur für einen Freund….

Ihnen wünsche ich Zeit für Besinnung auf das, was Ihnen wichtig ist und eine erholsame Ferien- und Sommerzeit!

Pastorin Birgit Dušková, Kirchengemeinde Glückstadt und Flüchtlingsbeauftragte des Kirchenkreises

Veröffentlicht am Sa 26.06.2021