Gott sei Dank!

Helmut Willkomm, Pastor in Oelixdorf

Gott sei Dank! – sage ich manchmal. Wen meine ich damit eigentlich? Vieles verdanke ich ja auch mir selbst.

Ansonsten verdanke ich viel meinen Eltern und auch meinen Kindern und vor allem meiner Frau und daneben meinen Freunden und Nachbarn und Kollegen und vielen anderen Menschen.

Aber eben nicht alles. Weder ich alleine noch wir Menschen alle zusammen haben alles in der Hand. Einen Ort zum Leben können wir nicht erschaffen. Höchstens einrichten können wir ihn. Unsere Erde wohnlich einrichten. Oder auch ruinieren. Oder für mich und meine Leute wohnlich einrichten auf Kosten der anderen.

Keinen an mich ran lassen, Mauern ziehen, Zäune bauen gegen die anderen. Sollen sie doch im Mittelmeer ersaufen. Oder noch besser: Gleich da bleiben, wo sie sind und keine Zukunft haben, was kümmert es mich. Was kümmert es mich, wenn da Krieg ist oder Hungersnot oder einfach keine Perspektive. Oder wenn Leute verfolgt werden und ins Gefängnis kommen oder gefoltert werden.

Vor 30 Jahren wurde hier ein Zaun niedergerissen. Die Grenze zwischen Ost und West fiel. Jahrzehntelang haben wir uns auf den beiden Seiten des Zaunes bis an die Zähne bewaffnet gegenübergestanden. Drüben war der Feind. Mit dem wollte man nichts zu tun haben. Bis heute wirkt das nach zwischen Ossis und Wessis.

Aber es gab immer Verbindungen von hüben nach drüben und von drüben nach hüben. Es gab Familienbande und Freundschaften. Alte Freundschaften von vor der Teilung und neue Freundschaften durch Besuche von dort nach hier und von hier nach dort, die auch in der Zeit der Grenze quer durch Deutschland möglich waren.

Am Ende ging es ohne Krieg, vor dem wir uns so viele Jahre gefürchtet hatten. Wer hätte das vorher gedacht? Haben wir uns das selbst zu verdanken? Wir sind das Volk – wir haben das geschafft? Besonders die Ossis? Das auch – aber es war auch viel Glück dabei.

Von wem kommt eigentlich das Glück? Ich kann es nicht machen. Dazu habe ich viel zu viel Angst. Was wollen die Fremden alle hier? Mit ihren komischen Akzenten und Dialekten, sächsisch und syrisch, thüringisch und kurdisch.

Was wollen die alle hier? Sie wollen teilhaben am Glück, wie wir selbst auch. Wir hatten Glück damals vor 30 Jahren. Wir haben Glück mit der Ernte – auch im Corona-Jahr 2020. Trotz Klimawandel und Pandemie, trotz Wirtschaftskrise und vielem anderen haben wir Glück. Glück kann man teilen. Gott sei Dank.

 

Pastor Helmut Willkomm, Oelixdorf

Veröffentlicht am Mi 30.09.2020