Erbärmliche Zeiten – Zeit des Erbarmens

Ingrid Fabian, Pastorin am Klinikum Elmshorn

Es erscheint mir unwirklich, dass wir in einer Kriegszeit leben. Immerhin, wir hier leben.

"Manchmal stehen wir auf, …mitten am Tage, …nur das Gewohnte ist um uns", lese ich bei einer Dichterin. Wenn ich Schlagzeilen und Fotos in Zeitungen überfliege, so bietet sich mir vor und nach Ostern der gleiche Anblick, das Gewohnte in gesteigerter Form.

Dennoch gewöhne ich mich nicht. Es erscheint mir unwirklich, dass wir in einer Kriegszeit leben. Immerhin, wir hier leben. Es erscheint mir absurd, dass in diesen Tagen zu einem Großangriff angesetzt werden solle. Auch deshalb, weil die meisten orthodoxen Kirchen in Osteuropa – Griechen, Russen, Ukrainer, Serben und viele andere – eine Woche später als bei uns, das Fest der Ostern begehen.

Auch die muslimischen Bevölkerungsteile und die jüdischen, deren Vorfahren auf großen Friedhöfen in Czernowicz und Lemberg (Lwiw) ruhen, müssen mit. Fürchten die Herren der Welt denn nicht Gott und Menschen? Ich höre, wie meine Frage im höhnischen Gelächter der Gewalttäter untergeht.

Damit bin ich nicht allein. Die Betenden in den Psalmen finden sich in erbärmlichen Zeiten vor und flehen um eine Zeit des Erbarmens. Gott hört und antwortet. Das macht freudig und stark zum Beten. "Stehe auf, o Gott, und führe deinen Streit." (Psalm 74, 22) Wir sollen Gott in den Ohren liegen, damit er aufsteht. Nicht wir führen den Streit, sondern unsere Gottheit tritt für das Recht, das auf ihren Namen lautet, ein. An diesem Tag lasst uns freuen und fröhlich sein.

Ingrid Fabian, Pastorin am Klinikum Elmshorn

Veröffentlicht am Fr 22.04.2022