Die Kunst zu leben

Axel Scholz, Pastor der Ev.-Luth. Friedenskirchengemeinde

Es sind ihrer nicht wenige. Sie leben mitten unter uns als Freunde, Nachbarn und Kolleginnen: Menschen, die leben wollen, ihr Leben aber schon bald verlieren werden und Menschen, die leben könnten, es aber nicht länger wollen.

Doch für die meisten von uns ist es selbstverständlich, dieses Leben, und wir spekulieren darauf, dass es noch lange unbeschwert so weitergeht. Wir freuen uns auf den Frühling. Ostern steht vor der Tür, die Weihnachtsdeko ist gut verstaut, aber doch griffbereit für die nächste Adventszeit. Wir gehen unseren Lebensweg in Kreisen: Die immer gleichen Bürozeiten, die stetige Wiederkehr der Jahreszeiten und die Feiertage »alle Jahre wieder« vermitteln ein Gefühl immerwährenden Lebens. Erfolgreich verdrängt ist das Wissen, dass das Leben mit Nichten selbstverständlich ist und sich auch nicht so einfach lebt. Es will gewollt, gestaltet und nicht selten mit aller Kraft bewältigt werden. Nur ab und zu, während ich so brav meine Kreise ziehe, gibt es Ereignisse, die mich aus dem Hamsterrad reißen: Krankheiten, Trennungen, Todesfälle. Völlig unvorbereitet werde ich dann daran erinnert, dass der Tod immer noch da ist.

Pastor Glen Sellick aus Leamington/ON sagte einmal zu mir: »We are living in a death denying society.« Recht hat er. Wir leben in einer Welt, in der mehrheitlich die Kunst des Lebens darin besteht, den Tod bestmöglich zu verdrängen. Und dann kommt Kirche, stellt einem das Kreuz vor die Nase und lädt dazu ein, des Leidens und Sterbens Jesu Christi zu gedenken. Was hat das denn mit Leben zu tun? Wie es aussieht: Alles.

Denn die Fülle des Lebens, wie es Christus verheißt, schließt die Endlichkeit unserer irdischen Existenz mit ein. Dies zu verleugnen, hieße Christus zu verleugnen. Es zu glauben, ist aber auch nicht leicht: Gott hat in Christus den Tod nicht abgeschafft. Er hat ihm seine Macht genommen. So behält Gott das letzte Wort, nicht der Tod.

Aus christlicher Sicht beginnt die Kunst des Lebens mit der Hinwendung zum Kreuz und so mit der Anerkennung der eigenen Sterblichkeit. Martin Luther schreibt in einem Sermon aus dem Jahre 1519: »Im leben solt man sich mit des todts gedancken uben und zu uns foddern, wan er noch ferne ist und nicht treybt.« Die Passionszeit, die Wochen zwischen Aschermittwoch und Ostern laden dazu ein.

Axel Scholz, Pastor der Ev.-Luth. Friedenskirchengemeinde

Veröffentlicht am Fr 06.03.2020