Das Wort zum Buß- und Bettag

Pastorin Anneliese Brandes, Lehraufttrag für Religionsunterricht an der Beruflichen Schule Elmshorn

Heute ist wieder Buß- und Bettag. Als ich Kind war, gab es ihn noch so richtig: als Feiertag, für alle. Ich habe ihn noch nie so sehr vermisst wie in diesem Jahr.

Der Zug, mit dem wir unterwegs sind, ruckelt schon eine ganze Weile. Schließlich hält er in einem Bahnhof. „Verehrte Fahrgäste, die Weiterfahrt unseres Zuges verzögert sich...“ Unmut macht sich breit. Jemand zieht genervt das Handy aus der Tasche und spricht unwirsch, jemand lehnt sich ungeduldig zurück.

Das kann wieder dauern, alle Pläne dahin. Nach einer Weile kommt ein Zugbegleiter in unseren Wagen. Ich wühle nach meinem Fahrschein, doch er winkt ab. Stattdessen setzt er sich zu mir und fragt: „Wie geht es Ihnen?“ Ich bin irritiert. Meine Gedanken beginnen zu wirbeln. Wie geht es mir eigentlich? Was war los in letzter Zeit?

Ohne es zu wollen drehe ich mich um, versuche aus dem Fenster zurück zu spähen. Der Zugbegleiter sieht mir zu. „Was geschehen ist, ist geschehen“, sagt er schließlich ruhig, aber bestimmt. „Lassen Sie es los. Aber wo möchten Sie denn hin? Sind Sie sicher, dass Sie im richtigen Zug sitzen oder müssen Sie hier umsteigen?“

Nun lässt er mich allein mit meinen Gedanken und wendet sich den anderen zu. „Vielleicht sollten wir die Weichen anders stellen?“, höre ich jemanden fragen. „Ja, das wäre gut“, stimmt jemand zögerlich zu. Auch ich nicke. Der Zugbegleiter erhebt sich: „Sollen wir unsere Fahrt dann jetzt fortsetzen?“ Befreit lächeln wir uns an, als der Zug sich wieder in Bewegung setzt.

Heute ist wieder Buß- und Bettag. Als ich Kind war, gab es ihn noch so richtig: als Feiertag, für alle. Ich glaube, ich habe ihn noch nie so sehr vermisst wie in diesem Jahr.

 

Pastorin Anneliese Brandes, Lehraufttrag für Religionsunterricht an der Beruflichen Schule Elmshorn

Veröffentlicht am Mi 16.11.2022