Als wäre nichts gewesen?

Axel Scholz, Pastor der Ev.-Luth. Friedenskirchengemeinde Elmshorn

"Wenn doch alles wieder so wäre wie früher, wie vor Corona."

Diese Sehnsucht nach Normalität ist mehr als verständlich. Ein Ende von Home-Office und Home-Schooling, Gemeinschaft ohne Masken zuhause, im Stadion oder Theater, beim Chor oder Sport – dies bedeutet für viele ein normales Lebens.

Endlich wieder tun, was dem Menschen als sozialem Wesen geziemt: anderen Menschen uneingeschränkt begegnen. ›Normalität‹ wird dabei oft verstanden als Rückkehr in einen Vor-Corona-Zustand. Und tatsächlich beschreiben aktuell Urlauber in den touristischen Modellregionen ihre Freude genau mit diesen Worten: »Es fühlt sich so an, als hätte es Corona nie gegeben.«

Dieses unbeschwerte Gefühl ist ein Traum, der sich einer Normalität widersetzt, die doch gänzlich anders aussieht. Tatsächlich bedeutet Normalität: So, wie es war, wird es nie wieder sein.

Dieser Sehnsucht nach vermeintlicher Normalität muss allein um der vielen Opfer dieser Pandemie willen widersprochen werden. Wer einen geliebten Menschen durch diese Krankheit verloren hat, wer hinter einer Glasscheibe oder via Zoom für immer Abschied nehmen musste, für den wird es nie mehr so, wie es einmal war.

Die wirtschaftlichen Existenzen, die der Lockdown zerstört hat, die Schüler*innen, Studierenden und Auszubildenden, die es trotz Bildungslücke nun irgendwie schaffen müssen und die an ›Long-Covid‹ Leidenden, sie alle führen uns vor Augen, was Normalität bedeutet, wenn sie nicht geträumt wird. Vor dieser Normalität des Lebens nicht die Augen zu verschließen, ist genau das, was das christliche Lebensgefühl ausmacht: Die leidenschaftliche Bejahung eines Lebens, das gezeichnet ist von Verlusten, denn Verlust ist die Normalität allen Lebens. Dies zu wissen und sich dennoch dem Leben mit ganzem Herzen zuzuwenden, erscheint möglich, wo ich meinen eigenen Verlust aufgehoben weiß in der unverlierbaren Güte Gottes.

 

Axel Scholz, Pastor der Ev.-Luth. Friedenskirchengemeinde Elmshorn

Veröffentlicht am Sa 15.05.2021