Viele Angebote, ein Ort: Gemeindeleben zieht um in die Kirche

In vielen Kirchengemeinden herrscht ein Platzproblem. Zu viel Platz, zu viele Räume. Ballast, nicht zuletzt für den Geldbeutel. Kirche, Gemeindehaus und Pastorat - diese übliche Dreierkombination ist vielerorts nicht mehr erforderlich. Die Zahl der Gemeindeglieder sinkt, die alternden Gebäude erfordern Unterhalt und verursachen Reparaturkosten. Geld, das einige Kirchengemeinderäte (KGR) lieber für Gemeindearbeit statt für Gemäuer ausgeben möchten.
So auch St. Michaelis im Itzehoer Stadtteil Wellenkamp. Die Verantwortlichen haben sich entschlossen, das Gemeindeleben komplett in die Kirche umzusiedeln. Die für den Stadtteil zu groß gewordene Garnisonskirche bekommt integrierte Räume für das kirchliche Leben. Das Gemeindehaus konnte bereits mit einer für den KGR sinnbringenden Nutzung verkauft werden - an die Diakonie Rantzau-Münsterdorf, die im Sommer eine Wohngruppe für Jugendliche einrichtet.
"Die Kirche wird halbiert und bekommt zwei Gemeinderäume, Teeküche und Toilette", berichtet Ralf Kürschner aus dem KGR. Auf der Empore soll die Orgel versetzt werden und Platz für zwei Musik-räume der Popularmusik schaffen. Rund 450.000 Euro kostet der Umbau. Die Kirchengemeinde St. Michaelis finanziert den Posten aus dem Erlös des Gemeindehausverkaufs, einem Zuschuss aus dem Strukturfonds des Kirchenkreises, Erspartem und einem Kredit beim Kirchenkreis. "Die Renovierung des Gemeindehauses hätte uns auch 300.000 Euro gekostet und wir halten den Umbau langfristig für sinnvoller", führt Kürschner aus.
Und dabei geht es der Gemeinde um weit mehr als um Geld. Es ist auch eine inhaltliche Entscheidung: Gottesdienst und Gemeindeleben sollen spürbar näher zusammenrücken. "Wir hoffen zum Beispiel, dass mehr Leute nach dem Gottesdienst zum Kaffee bleiben", sagt Ralf Kürschner. Kirchenmusiker Dr. Stephan Reinke freut sich, endlich feste Musikräume zu haben, in denen die Instrumente stehen bleiben können. "Wir sparen Auf- und Abbauzeit, Proben sind auch spontan möglich und wir können unkompliziert in der Kirche auftreten", sagt der Popularmusiker.
In Krempe lebt die Gemeinde seit 2007 das Konzept Multifunktionskirche. Pastor Thomas Bruhn ist zufrieden. "Die Kirche ist durch die Veranstaltungen fast jeden Tag geöffnet, Menschen kommen spontan vorbei, nach dem Gottesdienst wird zusammen Kaffee getrunken, es fokussiert sich alles", lobt der Pastor das Konzept. "Ich kann Gemeinderäume in der Kirche nur empfehlen." Disziplin vorausgesetzt: Alle Beteiligten müssen strikt auf den Zeitplan achten, denn die Räume sind gut ausgelastet. Und: "Die meisten haben den Umbau akzeptiert. Das setzt aber voraus, dass der Gottesdienstraum getrennt vom Gemeinderaum bleibt und nicht zugemüllt wird", sagt Bruhn. In Süderau gibt es - ähnlich, wie es in Wellenkamp sein wird - einen direkt in den Kirchraum integrierten, mit Glasscheibe abgetrennten Gemeinderaum.
"Ich begrüße es sehr, wenn eine Gemeinde sich auf ein Gebäude konzentriert", sagt Propst Dr. Thomas Bergemann. Das Kirchgebäude könne belebt werden und die Ausgaben zumindest perspektivisch gesenkt. Aber: "Gebäude reduzieren ist nicht überall der goldene Weg", betont der Propst. Die individuellen baulichen Verhältnisse seien entscheidend.
► Wer Gebäude reduzieren möchte, kann Mittel aus dem Strukturfonds beim Kirchenkreis beantragen. Es sind noch 80.000 Euro Fördermittel für zwei Gemeinden übrig.

Veröffentlicht am So 19.02.2017